Jede Woche stelle ich hier (ab Mitte März 09) ein Buch vor. Alle Autoren haben ein gemeinsames Thema. Sie machen sich - jeder auf seine Weise - Gedanken über die Zukunft. In diesem Blog werden die nach subjektiven Kriterien ausgewählten Monographien vorgestellt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. zweitwissen will neugierig machen und zum Lesen eines kompletten Buches anregen, anstatt sich nur Informationshäppchen im Netz "anzulesen".

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Motto: "Umwege erhöhen die Ortskenntnisse"

Sonntag, 21. Juni 2009

Feinkost für Nomaden


Gewicht: 300 Gramm, Maße: 290 x 157 x 17 mm

Ich saß in einem Flieger über dem Atlantik und hatte aus irgendeinem Grund ein Reisebuch dabei. Vielleicht weil sich Reisebücher auf Reisen besonders gut lesen. Jedenfalls hatte ich gerade Goethes "Faust" hinter mir und brauchte etwas Aktuelleres. Von diesem Buch kam ich, in einem Wort, nicht wieder los.

Wolfgang Bücher ist ein Mann mit traurigem Blick und klaren Augen - so sieht es aus, wenn man das Foto auf dem Buchumschlag betrachtet. Er hat für einige bekannte Zeitschriften, Zeitungen und Magazine aus der ganzen Welt berichtet. Dabei hat er sich die wohl besten Geschichten aufgespart. Für ein Buch, das Reisen im asiatischen Raum beschreibt. 

Aber "Asiatische Absencen" ist kein gewöhnliches Reisebuch. Es ist nicht vergleichbar mit den Klassikern von Bruce Chatwin, einem zugebenermaßen recht bekannten Reiseschriftsteller. Fragen Sie bitte nie in Australien in der Nähe von Back O' Bourke nach diesem Mann. Er hat dort nicht nur gute Erinnerungen hinterlassen. Es ist auch Schmökerschinken, wie "Die glücklichen Inseln Ozeaniens" eines meiner Lieblingsautoren Paul Theroux, der mal Professor in Singapur war und dann mit dem Paddelboot durch die Südsee fuhr. Dabei hat er einen Stamm von Kannibalen-Nachfahren getroffen. Man erzählte ihm eine schöne Geschichte. Die Vorfahren hielten Schuhe für ein besonderes Körperteil. Leider waren sie nur schwer essbar. So wurden sie von Stamm zu Stamm weiter gegeben, immer wieder gekocht und schließlich unter einem Baum vergraben. Unglaublich: Theroux fand den Schuh auf seiner Reise.

Aber mit derart grobschlächtigen Dingen hält sich Bücher nicht auf. Seine Erzählungen sind Literatur im engeren Sinne. Feine Beobachtungen, Mikroskopierungen des Augenblicks. So berichtet er etwa, wie er in den USA eine Nacht mit einem Japaner gemeinsam in einem Hotelzimmer verbringen musste. Dieser schenkte ihm jeden Tag einen Gegenstand - in Japan war gerade der Monat der Geschenke. So entstand eine scheinbar sinnlose Reihe von Dingen: einen Apfel, eine Zigarette, ein Heftchen über Zen in englischer Sprache.Erst später viel dem Autor auf, dass diese durchaus Sinn ergaben: Apple/smoke/Zen.

Die Geschichten sind beim besten Willen keine Reiseerzählungen im üblichen Sinne, die nacherzählen, wann man wo war und wie man wieder wegkam. Die stark reduzierte Sprache Büchers, seine Beobachtungsgabe und seine schonungslose Ehrlichkeit, mit der er über seine subjektiven Innenzustände schreibt, machen das Buch zu dem besten Reisebuch, das ich je gelesen habe (und ich habe viele, sehr viele gelesen...). 

Sehr schön ist auch die letzte der leider nur sechs Geschichten: Der Autor reist zu einem Ort, der Shangri-La heißt, weil der dem Namen einfach nicht widerstehen kann. Das erinnerte mich an viele meiner eigenen Reisen, die ich nur unternommen habe, weil ich wissen wollte, ob ein Ort, den ich auf der Landkarte gefunden habe, tatsächlich existiert. Shangri-La ist einer der sagenumwobenen Orte in dieser Welt. Eine Fiktion, ein Sehnsuchtsort. Dort angekommen, muss Bücher feststellen, dass es ein einfaches Dorf ist, das aus PR-Gründen einfach umgetauft wurde. Vorbei mit dem Mythos. In einer Bar mit dem Namen "Sexy Yeti" erfährt der Reisende vom abgeklärten Barkeeper die Wahrheit: "Eine Wahnsinnsidee, das müssen Sie zugeben oder". Trotzdem  schafft es Bücher irgendwie, sich in eine Schamanin zu verlieben. Die elementaren Regeln des Lebens gelten wohl unter jeder Bedingungen und auch in Tibet.

Die anderen Erzählungen sind nicht minder lesenswert. So berichtet der Autor, wie er krank in Indien in einem verlassenen Krankenhaus eine Tropenkrankheit übersteht und tagelang die Decke anstarrt, oder wie er mit einem gigantischen Tanker über den Persischen Golf fährt und dort einen Matrosen trifft der nie mehr von Bord geht. Wer meint, das dies keine spannenden Geschichten sein können, der versteht nichts von guter Literatur. Dieses Buch ist Literatur, wie sie nur noch ganz, ganz selten entsteht.

Beitrag zur  Zukunft der Menschheit: In einem Wort: Hoffnung. Wenn es noch Menschen gibt, die derart klar sehen und schreiben können, dann gibt es auch ein Morgen.

Wolfgang Bücher: Asiatische Absencen. 2008. Rowohlt: Berlin. ISBN 978-3-87134-616-3

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