Jede Woche stelle ich hier (ab Mitte März 09) ein Buch vor. Alle Autoren haben ein gemeinsames Thema. Sie machen sich - jeder auf seine Weise - Gedanken über die Zukunft. In diesem Blog werden die nach subjektiven Kriterien ausgewählten Monographien vorgestellt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. zweitwissen will neugierig machen und zum Lesen eines kompletten Buches anregen, anstatt sich nur Informationshäppchen im Netz "anzulesen".

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Motto: "Umwege erhöhen die Ortskenntnisse"

Sonntag, 7. Juni 2009

Buch über den Bauch


Gewicht. 450 Gramm, Maße 220 x 170 x 30 mm

Trotz der bitteren Wahrheit, die der Titel dieses Buches verkündet, sollten Sie es lesen! Bittere Pillen soll man schlucken, nicht kauen. Im Übertragenen Sinne heißt das: Lesen klärt zwar auf, ändern müssen Sie Ihr Leben aber dennoch nicht.

Der Autor hält uns Lesern den Spiegel vor und "entzaubert" (wie der berühmte Soziologe Max Weber das einst genannt hat), stellvertretende gleich einige Wirklichkeitsbereiche für uns. Zu viel will ich nicht verraten, nur so viel, es geht auch um Sex, was wohl bei einem amerikanischen populärwissenschaftlichen Buch nicht zu vermeiden ist.

Wie so oft entpuppt sich ein Buch nur als ein Vertreter einer ganzen Gattung ähnlicher Bücher. In diesem Fall sind es die "Intuition ist wichtiger als Rationalitäts"-Bücher. Das Thema Intuiton hat das Thema "Emotionale Intelligenz" abgelöst. Vielleicht, weil im Zeitalter der Sentimentalitäten niemand so richtig weiß, was Emotionen sind. Immer mehr Wissenschaftler und Journalisten weisen, teils empirisch unterfüttert, teils spekulativ-esoterisch, darauf hin, dass der Wille nicht "frei" ist. 

Damit ist einerseits die sehr umfangreiche Diskussion in Folge des sog. Libetschen Experiments gemeint, bei dem Benjamin Libet nachwies, dass die bewusste Handlungsentscheidung dem ersten Handlungsimpuls des Gehirns um einige Bruchteile einer Sekunde vorauseilt (wenn Sie darüber mehr wissen sollen, dann besuchen Sie meine Veranstaltung "Persönlichkeitsentwicklung"). 

Damit sind andererseits aber auch die vielen Bücher gemeint, die sich der lange Zeit sträflich vernachlässigten Intuition widmen. Das beginnt mit recht undefinierbaren Formaten wie "Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft" (Bas Kast) oder einem Semi-Klassiker wie "Intution: Die Weisheit der Gefühle" (Gerald Traufetter). Diese Bücher basieren mehr oder weniger auf dem Beststeller "Blink! Die Macht des Moments" von Malcolm Gladwell. Die Grundeinsicht: Wir wissen mehr, als wir ausdrücken können und wir nehmen mehr wahr, als uns bewusst ist. Handlungsentscheidungen werden oft an dem Wächter der Rationalität - dem Gehirn - vorbeigeschmuggelt, ob uns das bewusst ist oder nicht. Ein sehr seriösen Buch, dass den Preis für das beste Wissenschaftsbuch 2007 erhalten hat, stammt von Gerd Gigerenzer, einem Psychologieprofessor, der darin sehr anschaulich von seinen eigenen Experimenten berichtet ("Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition"). 

Warum also braucht es noch ein Buch über den Bauch? Weil es darin um Themen geht, die wir alle selbst nachvollziehen können. Weil wir, d.h. die Art und Weise wie Menschen "normalerweise" (also empirisch gesprochen: am häufigsten) entscheiden, gnadenlos durchleuchtet wird.  Um das zu verdeutlichen, möchte ich kurz auf meine beiden Lieblingskapitel eingehen: "Vom ewigen Aufschieben" und "Ein Hintertürchen offen halten" - beides Prozesse, die viele von uns kennen, auch wenn sie es nicht zugeben.

Beginnen wir mit dem Aufschieben. Dort, wo wir es tun sollten, verzichten wir darauf. Ariely verdeutlicht das am kreditkartengetriebenen Konsum seiner Landsleute. Er weist sehr schön nach, dass seit den 1970er Jahren die Wandschränke in amerikanischen Häusern immer größer und schließlich begehbar wurden. Immer weniger können den Verlockungen des Konsums widerstehen - siehe Finanzkrise. Das ärgert den Autor sichtlich: Warum sind so viele Menschen außerstande, einen Teil ihres Gehalts auf die hohe Kante zu legen, obwohl sie wissen, dass sie es tun sollten? Warum sind sie nicht in der Lage, ihren Kaufwünschen zu widerstehen? Warum können sie nicht ein bisschen altmodische Selbstbeherrschung üben?"

Altmodisch erscheinen ebenfalls Termine für die Abgabe von Arbeiten während des Semesters. Es ist daher sowohl für Professoren als auch für Studierende von Interesse, mehr darüber zu erfahren, wie man verpatzte Termine vermeiden kann. In typisch amerikanisch-hemdsärmeliger Weise unternahm daher der Autor einen Selbstversuch und teilte ein Semester lang in drei Gruppen ein. Diese unterschieden sich in der Art der Vereinbarung über die Abgabe ihrer Semesteraufgaben. 

Die erste Gruppe durfte Ihre Aufgaben jederzeit abgeben. Sie musste allerdings selbst Termine benennen. Für jeden Tag, den sie dann eine Aufgabe später abgaben wurde ihnen ein Prozent von der erreichbaren Punktemenge abgezogen. Umgekehrt brachte es keinerlei Vorteile, die Aufgaben vor dem vereinbarten Termin abzugeben. Die zweite Gruppe hatte keinerlei feste Abgabetermine. Die Studierenden wurden lediglich gebeten, die Aufgaben am Ende des Semesters abzugeben. Der dritten Gruppe wurden schließlich "dikatorische" Terminvorgaben gemacht. Nun die Preisfrage: Bei welcher Gruppe hat die Terminabgabe am besten funktioniert?

Beitrag zur Zukunft der Menschheit: Es würde schon helfen, wenn wir uns entscheiden könnten - einerlei ob vernünftig oder unvernünftig. Das Buch zeigt, wie schwierig das Einfache sein kann.

Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts, 2008.  Droemer: München. ISBN 978-3-426-27429-3

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