Jede Woche stelle ich hier (ab Mitte März 09) ein Buch vor. Alle Autoren haben ein gemeinsames Thema. Sie machen sich - jeder auf seine Weise - Gedanken über die Zukunft. In diesem Blog werden die nach subjektiven Kriterien ausgewählten Monographien vorgestellt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. zweitwissen will neugierig machen und zum Lesen eines kompletten Buches anregen, anstatt sich nur Informationshäppchen im Netz "anzulesen".

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Motto: "Umwege erhöhen die Ortskenntnisse"

Sonntag, 21. Juni 2009

Stunde der Zitate


Maße: 170 x 150 x 20 mm; Gewicht: 260 Gramm 

Wer im Gedächtnis bleiben will, der muss Spuren hinterlassen. Es liegt im Trend der Zeit, dass viele Menschen mit erheblichen Aufwand selbst dafür sorgen, ausreichend Spuren zu hinterlassen. Spitzenreiter in dieser narzisstischen Disziplin ist Oliver W. Schwarzmann, dessen Buch ausschließlich aus Zitaten besteht.

In der indischen Tempelkunst galt die Devise: "Lasse alles Überflüssige weg und verstärke den Rest". In der Wissenschaft bleibt einem voluminösen Buch - sehr zum Leidwesen des Autors, der sich oft jahrelang Mühe gegeben hat - nicht viel mehr als ein Zitat. Was liegt also näher, mag sich Schwarzmann gedacht haben, als vom Buch alles wegzulassen, außer die Zitate, von denen man sich wünscht, dass sie Spuren im Gedächtnis der anderen bleiben.

So unglaublich es klingt, das Buch besteht tatsächlich nur aus Zitaten. Wer ahnt denn so etwas? Der Autor ist laut Selbstauskunft (nebst überdimensionalen Foto) ein ehemaliger Banker, der sich nun ökonomischen Zukunftsfragen widmet. Daraus hat er gleich ein 'business' gemacht, eine Firma und einen Verlag gegründet, der seine Bücher herausbringt. Ein anderer Verlag würde wohl kaum ein solches Buch drucken. Es erinnert mich sehr an ein Buch mit dem Titel "Alles was Männer an Frauen verstehen", das mir mein ehemaliger WG-Mitbewohner aus Frankreich einmal schenkte: Es hatte nur leere Seiten. Auch eine gute Geschäftsidee.

Schwarzmann bezeichnet sich gerne als "Vordenker" und so heißt auch seine Buchreihe. Er lässt sich über Redner-Agenturen für "lebendige" Vorträge buchen und hat zu allen möglichen und unmöglichen Themen Studien und Expertisen verfasst. In einem Interview sagt er auf die Frage, was denn Vordenker-Medien bzw. ein Vordenker seien: "Vordenker-Medien sind Publikationen, in denen der Vordenker - in diesem Fall ich - seine Visionen, Thesen, Trends, Erkenntnisse aufs Blatt Papier bringt". Das Interview gibt es übrigens auch als Videocast

Selten hat jemand so unverfroren anderen die eigene Denkfähigkeit abgesprochen und sich über sie gestellt. Die Griechen nannten das Hybris - Anmassung und Selbstüberschätzung. Woher nimmt dieser Mensch eigentlich die Frechheit, sich mit seinen lächerlichen "Themenexpeditionen" zu Globalisierung, Demographie, Mobilität und Neuen Medien derart in den Mittelpunkt zu rücken? Wenn es stimmt, dass erst Aufmerksamkeit Informationen erzeugt, dass versucht dieser mehr als selbstverliebte "Zukunftspublizist" sich selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken.

Was dann erscheint, sind nett zusammengewürfelte Zitate. Wobei Schwarzmann noch nicht einmal davor zurückschreckt, klassische Zitate "frei" wieder zu geben, d.h. zu verunstalten. Das Buch bietet also nicht die angekündigte "spannende wie zukunftsweisende Anregung über die Zukunft der Welt", sondern einen Einblick in die Psyche eines Schauspielers. Zu retten ist da nichts. Es gibt keine Erklärungen, keine Zusammenhänge. Da wurde kein Rest weggelassen, weil keiner existiert. Pure Oberflächlichkeit wird als Perspektive ausgegeben. 

Zwar sind einige der  Zitate ganz nett. Aber ein Buch, das ausschließlich aus Zitaten besteht, gehört zu einem anderen publizistischen Format: der Aphorismensammlung. In der Tat sind die wenigen Zeilen auf viel weißem Hintergrund nicht mehr als Gedankensplitter eines Denkens, dass mehr um sich selbst kreist als an wirklichen Lösungen interessiert zu sein. Jedem indischen Baumeister würde bei diesem Stil einfach nur schlecht werden.

Beitrag für die Zukunft der Menschheit: Keiner. Die einzige Spur, die das Buch hinterlassen sollte, ist Altpapier.

Oliver Schwarzmann: Über die Zukunft der Welt. Eine Perspektiven-Expedition, 2008. Bley und Schwarzmann, Waiblingen. ISDN 978-3-933452-70-2

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