Jede Woche stelle ich hier (ab Mitte März 09) ein Buch vor. Alle Autoren haben ein gemeinsames Thema. Sie machen sich - jeder auf seine Weise - Gedanken über die Zukunft. In diesem Blog werden die nach subjektiven Kriterien ausgewählten Monographien vorgestellt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. zweitwissen will neugierig machen und zum Lesen eines kompletten Buches anregen, anstatt sich nur Informationshäppchen im Netz "anzulesen".

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Motto: "Umwege erhöhen die Ortskenntnisse"

Sonntag, 26. April 2009

Scheidung vom Zeitgeist


Gewicht: 250 Gramm; Maße: 210 x 145 x 15 mm

Der Ruf nach genauen Prognosen durch die Wissenschaft, die möglichst viel „Planungssicherheit“ verschaffen, ist unter der Bedingung erhöhter Umfeldturbulenzen heute lauter denn je. Trotz aller Forderungen besteht die Aufgabe der Wissenschaften – vor allem der Sozialwissenschaften – nicht im Wegdefinieren von Unsicherheit, sondern allenfalls in der Quantifizierung von Unsicherheitsbandbreiten. 

Die Beiträge des Sammelbandes „Gegenwärtige Zukünfte“ kreisen um die zentrale Erkenntnis, dass sich sozialwissenschaftliche Zukunftsforschung radikal von Trendforschung unterscheidet. Zwischen den kleinräumigen explorativ-interpretativen Fallstudien der qualitativen Sozialforschung und den "unweigerlich großflächigen und nicht selten grobschlächtigen Gegenwarts- und Zukunftsbildern", die von der Trendforschung produziert werden, so die beiden Herausgeber, besteht eine gewisse Kluft.

Und dies hat mit dem Selbstverständnis der Soziologen zu tun: Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive besteht der Sinn von Prognosen nicht darin, zu erklären, was ist, sondern zu verstehen, was wir tun. Nur wer verstehen will, kann eine Vorstellung davon entwickeln, was etwas Bestimmtes bedeutet oder bedeuten könnte. Daraus folgt für Hitzler & Pfadenhauer, dass sozialwissenschaftliche Prognostik, "unsere gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktionen zu re-konstruieren hat, um das uns je Mögliche zu konstruieren." Oder mit Jo Reichertz gesprochen: Sozialwissenschaftliche Zeit- und Gesellschaftdiagnosen - das ist der Versuch aus schwachen Spuren starke Thesen zu entwickeln.

Soziologen liefern also (im je besten Fall) "unterscheidungsunterstützende Informationen" in der Form (qualitativer) Ethnografien der Gegenwart. Und das ist ein wenig mehr, als die Arbeit von Trendscouts, die entweder die "Diffusionsträchtigkeit" oder das "Outhipping-Potenzial" sozialer Phänomene zu erkennen trachten. In unserer Zeit geht es immer mehr darum, in Denkfabriken kontrollierte und säkulare Visionen herzustellen, deren Verwirklichung nicht mehr von einer transzendenten Agency abhängen, sondern allein von der Handlungsbereitschaft der betroffenen sozialen Akteure. Ganz anders sieht Zukunftsdeutung im Alltag aus.

Dort sind wir alle – wie Hubert Knoblauch & Bernd Schnettler in einem zentralen Beitrag dieses Bandes zeigen, Zukunftsforschende. Unser eigenes Leben ist voll von Akten praktischer Utopie und vorauseilender Imagination. Man könnte durchaus von einer Zielbestimmungs- und Steuerungsfunktion dieser phantasierten Vorentwürfe sprechen, die integraler Bestandteil unseres Alltags sind. Dauernd beschäftigen wir uns mit dem Horizont offener Möglichkeiten – nichts anderes ist Zukunft aus sozial-phänomenologischer Sicht.

Die Palette der Beispiele in diesem Sammelband ist breit. Sie reicht von der eben skizzierten Zukunftsdeutung im Alltag, über eine sozialwissenschaftliche Betrachtung von Managementtheorien (Liebl), die Diagnostik der Wiederholungsgefahr von Straftätern (Feltes), der Diagnosefähigkeit von Ärzten (mit sehr instruktiven Dialogen) (Vogd), dem Verhältnis von Forschen und Wetten (Behrend), einer wunderbaren Darstellung verschiedener Prognosemethoden am Beispiel des Problems, eines Erstkontaktes mit Außerirdischen (Schetsche), bis zur Kritik an den Methoden der Trendforscher (Pfadenhauer) und der Beschreibung von Möglichkeitsräumen der Existenz am Übergang in eine andere Moderne (Hitzler).

Aufgrund dieses großen Spektrums lernt der Leser auch, was gute Soziologie ausmacht: Der Verzicht auf große Würfe. „Wer die ‚Schau’ wünscht, gehe ins Lichtspiel“ – so schon der Gründervater der Soziologie, Max Weber. „Wer von der Soziologie Visionen erwarte, der gehe ins Kino“, eine Abwandlung des Zitats in Ehren vom französischen Großmeister Pierre Bourdieu. Soziologie ist, wie es der Konstanzer Soziologe Hans-Georg Soeffner formuliert hat, "primär rückwärtgewandte Prophetie - die Rekonstruktion der gesellschaftlichen Konstruktionen und Konstruktionsbedingungen von Wirklichkeit" Gute Soziologe hält sich aus dem Geschäft mit den Hypes heraus. Ansonsten besteht die Gefahr, vor der ebenfalls Soeffner gewarnt hat: „Wer den Zeitgeist heiratet, ist schnell verwitwet.“

Beitrag zur Zukunft der Menschheit: Ein tiefgreifendes Verständnis über die sozialen Konstruktionsbedingungen von Zukunftsvorstellungen.

Ronald Hitzler & Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Gegenwärtige Zukünfte. Interpretative Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Diagnose und Prognose. 2005. Vs-Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden. ISBN 3-531-14582-7. Inhaltsangabe zum Buch hier


 


1 Kommentar:

  1. Es geht um Schreckliches, Stichworte : Mord, Roswitha Müller-Piepenkötter:

    Die Skandale in Deutschland sind derzeit so schlimm, dass es klüger wäre, sich im deutschen Internet vorrangig um sie zu kümmern:

    Blog.de hat sich wieder einmal auf die Seite des Staatsschutzes gestellt, hat meinen blog freegermany.blog.de gelöscht.

    Auf meiner HP, deren Name von blog.de bekanntermaßen als "Spam" ausgefiltert wird, wird unter dem Datum von heute, 11.05. 2009, 11.53 Uhr unter "Neueste Mitteilungen..." erläutert, mit welchen Schmutzkampagnen der BRD Verbrecherstaat mir begegnet - wobei er Blog.de offensichtlich zu seinen Unterstützern zählen darf.

    www.123-brd-vorbei.de

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