Jede Woche stelle ich hier (ab Mitte März 09) ein Buch vor. Alle Autoren haben ein gemeinsames Thema. Sie machen sich - jeder auf seine Weise - Gedanken über die Zukunft. In diesem Blog werden die nach subjektiven Kriterien ausgewählten Monographien vorgestellt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. zweitwissen will neugierig machen und zum Lesen eines kompletten Buches anregen, anstatt sich nur Informationshäppchen im Netz "anzulesen".

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Motto: "Umwege erhöhen die Ortskenntnisse"

Montag, 6. April 2009

Flipper, das Internet und ich

Gewicht: 540 Gramm; Maße: 210 x 135 x 30 mm

Einer der aktuellsten Versuche, sich optimistisch mit der Zukunft der Mediengesellschaft auseinander zu setzen, ist das Buch des Journalisten und Blogform-Gründers Michael Maier. Schon das Titelbild macht deutlich, worum es geht: Die linke Seite des abgebildeten Gehirns sieht so aus, wie man es erwartet, lauter Gehirnwindungen. Die rechte Seite ist abstrahiert und gleicht einem elektronischen Schaltkreis. Die Botschaft ist klar: Menschliches Gehirn und elektronisches Gehirn konvergieren. Sie tun dies, so Maier, zu nichts Geringerem als zur Rettung der Welt.

Ausgangspunkt der Zukunftsstudie von Maier sind eher düstere Gedanken. Maier sieht die Gattung Mensch im apokalyptischen Zeitalter durch zunehmende Komplexität der Problemstellungen bedroht. Um die Welt ist esschlecht bestellt: Sogar der Dalai Lama habe aufgegeben, denn die Probleme des 21. Jahrhunderts sind nicht mehr mit den Methoden des 20. Jahrhunderts zu lösen. Lösungen müssen zukünftig komplett anders erarbeitet werden. In der digitalen Industrie und ihren Vertretern (also auch bei sich selbst) sieht Maier die Helden von Morgen. Ein „postapokalyptisches Zeitalter“ (Grace Jones) braucht radikal neue Lösungsmethoden. Im Internet erkennt Maier die Möglichkeit zur Rettung. In den Menschen, die mailen, klicken und bloggen (also uns allen) sieht er die Retter der Welt: „Sie tun gemeinsam etwas zutiefst Sinnvolles“. In den beschleunigten Kommunikationsritualen des Netzes erkennt er einen Ausdruck existentieller Eile: „Wir kommunizieren um unser Leben“.

Wer alle seine Hoffnung in das Internet setzt, kann den kulturpessimistischen Klagen der „alten Elite“ nicht zustimmen. Den Vorwürfen einer zunehmenden Verdummung durch das Internet stellt Maier seine Utopie einer kollektiven Verbesserung der Welt durch die gemeinsame Nutzung des Netzes gegenüber. Es geht, so Maier, nicht um Degeneration sondern um „eine grandiose, kollektive Anstrengung“. Doch worin besteht diese Anstrengung und worin mündet sie?

Den Hauptnutzen des Internets sieht er in den „kollektiven Denkerfolgen“, wobei der dem Internet eine „Superhirnfunktion“ zuschreibt: „Das Internet verändert unser Gehirn. Und zwar nachhaltiger als alles, was wir bisher im Bereich von Kommunikation und Information erlebt haben. Intellektuelle Panikattaken zucken durch eine Welt, in der nichts mehr ist, wie es einmal war. (...)  Der Computer ist Teil von uns geworden“. Dies ist soweit noch nichts Neues, sondern nur eine schöne Umschreibung dessen, was man sonst trockener unter Mediatisierung und der Ubiquität neuer Medien versteht. Wie aber kann man nun mit dem „Superhirn“ Internet die Apokalyspe verhindern?

In der Internetgeneration erkennt Maier die Angehörigen einer neuen Klasse, die er ganz unbescheiden die „Helden von Morgen“ nennt. Die Digitale Bohème, wie sie an anderer Stelle genannt wird, unterscheidet sich aber von den „Helden von Gestern“, Typ Gandhi. Es geht nicht um Charisma, sondern um die Fähigkeit zur Vernetzung. Es gibt also nicht einen, sondern viele Helden. Prinzipiell unendlich viele – womit dann auch ein Paradoxon auftritt: Wenn alle Helden und/oder Elite sind, ist unklar, wie man sich dann noch (von anderen) unterscheidet. Jedenfalls haben diese Helden neue Eigenschaften: „Diese Helden erkennen wir nicht daran, dass sie besonders aus der Masse herausragen. Ihre Stärke liegt in ihrer Fähigkeit, sich in die Köpfe der anderen hineinzuversetzen. Das wichtigste Merkmal der Elite von morgen ist ihre Fähigkeit zur Integration“. Die Zukunftsform des Heldentums kommt also ohne Individualismus aus. Kollektivismus wird wieder gesellschaftsfähig.

Und das war angeblich schon von Anfang an so gedacht. Die Tatsache, dass das Internet nicht als exklusives militärisches Gerät endete, schreibt Maier einer „kollektiven Intuition“ zu, „einem Instinkt, der zum Begreifen führte, welches gewaltige Potenzial in der weltweiten Vernetzung besteht“. Um dies zu belegen, zitiert er eine (bei näherem Hinsehen) sehr ambivalente Aussage von Tim Berners-Lee, der bei der Geburtsstunde des Internets dabei war: „Die Leute, die das Internet und das Web gebaut haben, haben die größte Wertschätzung für das Individuum (...) Wenn alle Individuen den Willen dazu haben, dann können wir kollektiv eine Welt bauen, die wir haben wollen“. Wertschätzung für das Individuum und Integration durch kollektive Vernetzung – wie geht das zusammen?

In jedem Fall aber will Maier erkennen, dass die Vernetzung menschlicher Köpfe zum großen Superhirn bereits jetzt Form annimmt. Er vergleicht das Internet mit dem Echolotsystem, mit dem Delfine kommunizieren. Bei seinem Vergleich stützt er sich (leider) nur auf eine einzige Quelle, ein Buch der Entwicklungspsychologin Katharina Zimmer (Doktor Delfin. Wie Tiere heilen helfen, 2004). Dieses Buch ist nur ein Beispiel von vielen „Wunder-Büchern“, die den Einsatz von Delfinen in therapeutischen Kontexten beschreiben. Was ist nun das Besondere an Delfinen und warum kann man das Internet mit deren Kommunikation vergleichen?

Delfine stehen ständig miteinander im Kontakt. Man kann von einer „unheimlich raschen Wahrnehmungsintegration“ sprechen – so die Delfinforscherin Zimmer – die sich aus dem Zusammenspiel von Nah- und Fernsinnen der Delfine ergibt. In dieser Form von „Biofeedback“ kann man (wenn man möchte) eine neue Form der Intelligenz sehen (Übrigens ein sehr schönes Beispiel für einen sog. sozialen Zuschreibungsprozess: Intelligenz ist – aus wissenssoziologischer Perspektive – das, was wir für intelligent halten. Intelligenz ist also keine Eigenschaft, sondern das Resultat einer Übereinkunft). 

Maier plädiert dafür, dass Menschen es den Delfinen gleich machen und ein ausgeprägtes „Wir-Bewusstsein“ entwickeln sollten. Ähnlichkeiten gibt es durchaus: So wie Delfine direkt kommunizieren, können wir im Netz ohne Vermittler und Gate-Keeper kommunizieren. Kommunikation wird, so Maier, dadurch „unverfälscht“ und „direkt“, die Voraussetzungen für Wahrnehmungsintegration scheint gegeben: „Das Internet muss das perfekte menschliche Echolotsystem werden. (...) Ohne Zwischenhändler tauschen wir Informationen aus. (...) Oben und unten sind weniger wichtig als eine maximale horizontale Vernetzung. Jede Rückkopplung beeinflusst das eigene Denken. (...) Die Gemeinschaft honoriert jeden Beitrag, der der Spezies hilft. (...) Osmotisch saugen wir auf, und oszillierend geben wir weiter“. 

Es ist allerdings stark zu bezweifeln, ob schon durch diese sperrefreie horizontale Vernetzung auch qualitativ bessere Beiträge entstehen. Wenn Denken zu einem osmotischen und ozilllierenden Gemeinschaftsprozess wird, in dem konstruktive Beiträge belohnt werden, die für alle relevant sind, ist dies auch der Pferdefuß! Es sind eben nicht immer die mehrheitsfähigen Denkleistungen, die die Menschheit weitergebracht haben. Vielleicht ist das Resultat weniger die Rettung der Welt als deren mediokre Nivellierung? Vielleicht ist es sinnvoller, autonomes Denken zu schulen, anstatt einen „elektronischen Tastsinn“ und eine „kollektive Präsenz“ zu entwickeln?

Beitrag zur Zukunft der Menschheit: Der schönste Satz im Buch lautet: „Adam und Eva brauchten kein Handy“. Das Buch macht deutlich, dass die Komplexität der Ordnungsprinzipien einer Gesellschaft mit den Ansprüchen ihrer Mitglieder anwächst. Damit wächst auch die Komplexität von Deutungsangeboten. Das Gegenmodell nennt sich übrigens Esoterik.

Michael Maier: Die ersten Tage der Zukunft. Wie wir mit dem Internet unser Denken verändern und die Welt retten können. 2008. Pendo Verlag: München. ISBN 978-3-86612-171-3

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