Jede Woche stelle ich hier (ab Mitte März 09) ein Buch vor. Alle Autoren haben ein gemeinsames Thema. Sie machen sich - jeder auf seine Weise - Gedanken über die Zukunft. In diesem Blog werden die nach subjektiven Kriterien ausgewählten Monographien vorgestellt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. zweitwissen will neugierig machen und zum Lesen eines kompletten Buches anregen, anstatt sich nur Informationshäppchen im Netz "anzulesen".

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Motto: "Umwege erhöhen die Ortskenntnisse"
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Mittwoch, 1. Juli 2009

Lernen von den Simpsons


Gewicht: 350 Gramm, Maße: 290 x 157 x 31 mm

Auf dieses Buch habe ich lange gewartet. Zwar habe ich es für die Bibliothek bestellt, doch leider hat sich sich gleich irgend jemand ausgeliehen. Kein Wunder! Es lohnt sich. Man muss eben auch gönnen können.

Jeder kennt die Simpsons, kein Zweifel. Aber kann man mit oder über die Simpsons philosophieren? Man kann! Die Simpsons existieren schon seit 20 Jahren. In dieser Zeit wurden in der Sendung schon alle menschlichen Probleme, manchmal auch Potenziale dargestellt. "An Marges Küchentisch", so der treffende Text auf dem Buchrücken, "und in den Straßen von Springfield treten die Grundfragen der Menschheit offen zu Tage". 

Und wer ist für die Grundfragen der Menschheit verantwortlich? Es waren und es sind noch immer, die Philosophen. Was passiert, wenn in einer US-amerikanischen Uni, in der das Lehr- und Arbeitsklima sich wohl deutlich von den hiesigen Hochschulen unterscheiden muss, 11 witzige Philosophen in der Kaffeeküche zusammentun und über die TV-Serie vom Vortag sprechen, das zeigt dieses Buch. Einige waren schon am Seinsfeld-Buch beteiligt, nun also die Simpsons.

Mir war schon immer klar, dass die Serie das Potenzial hat, uns das Leben zu erklären. Ich erinnere mich an eine Episode (als ich noch einen Fernseher hatte). Homer fährt auf der Autobahn. An seinem Auto zieht er einen Anhänger, der voll mit allen möglichen Sachen beladen ist. Plötzlich löst sich der Anhänger - er war wohl nicht richtig arretiert. Dies verursacht eine fürchterliche Massenkarambolage auf dem Highway. Und was macht Homer? Er greift zum Rückspiegel, in dem er die Folgen seines Tuns betrachten kann, verdreht diesen um ein paar Grad und sieht dann - völlig surreal - ein friedlich grasendes Reh in einer paradisischen Auenlandschaft. Er gibt damit das Sinnbild ab für die uns alltäglich umgebende Realitätsverweigerung.

Eines der Kapitel ist natürlich auch Homer Simpson gewidmet. Geschrieben wurde es vom Assitenzprofessor für Philosophie Raja Halwani, der angibt, das seine größte Errungenschaft die Entdeckung einer weiteren Mahlzeit zwischen Frühstück und Brunch war. Derart mit Humor gewappnet vergleich Halwani Homer mit der Ethik von Aristoteles um sich der Frage anzunähern, ob Homer ein "guter" oder ein "schlechter" Mensch ist. Die Charaktertypen des Aristoteles kommen mir - aus meiner Lehrveranstaltung "Persönlichkeitsentwicklung" sehr bekannt vor. Das abschließende Urteil über Homer fällt dann überraschend milde aus, obwohl Homer ja jede Menge übler Eigenschaften und dunkler Leidenschaften hat. Seine "berauschende Lebenslust" steht den vielen großen und kleinen Verletzungen gegenüber, die Homer bei anderen verursacht.

Nein, die Texte sind nicht leicht zu lesen. Sie erfordern mehr Aufmerksamkeit als das Schauen einer Comicserie im Fernsehen. Aber in ihrer analytischen Schärfe sind sie - in Verbindung mit dem Wiedererkennungseffekt - brillant. Viele der unverzichtbaren Philosophen kommen zu Wort. Immer bezogen auf eine der Figuren der Simpsons-Serie: Bart und Nietzsche, Die Simpsons-Familie und Kant, Karl und Marx usf. Dazu viele Einsprengsel weiterer Philosophen. Einen bunteren und besseren Einführungskurs in die Philosophie kann es wohl kaum geben.

Beitrag zur  Zukunft der Menschheit: So macht Philosophie sogar Nerds Spaß. Mehr davon!

Wiiliam Irwin u.a. (Hrsg.): Die Simpsons und die Philosophie. Schlauer werden mit der berühmtesten Fernsehfamilie der Welt. 2008. 6. Auflage. Tropen: Berlin. ISBN 978-3-932170-97-3

Sonntag, 14. Juni 2009

Manchmal ist Schweigen mehr

Gewicht: 170 Gramm, Maße: 150 x 105 x 10 mm

'Bullshit' ist kein schönes Wort, aber  das hält viele Menschen nicht davon ab, genau jenen verbalen Müll zu produzieren, den man im amerikanischen Sprachraum locker mit 'Bullshit' bezeichnet. Ein winziges philosophisches Juwel klärt auf und tröstet all jene, die sich um eine klare Sprache bemühen.

Beginnen wir mit der Person. Der Autor des winzigen Bändchens, das im Original den schöneren Titel "On Bullshit" trägt, heißt tatsächlich so, wie es auf dem Buchcover verkündet wird. Frankfurt ist ein einigermaßen bekannter amerikanischer Philosoph, schon recht alt und daher vielleicht auch weise und lehrte an der Princeton University. 

Ich bin eines Tages in der ZEIT über eine Besprechung dieses Buches gestolpert, sonst hätte ich es in jedem Buchladen einfach übersehen. Da ich auch versuche in meiner Lehrveranstaltung "Wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben" ein Bewusstsein dafür zu vermitteln, was klare, schöne und verständliche Sprache ist, kam mir dieses Buch gerade recht. Es ist meine Legitimation, wenn ich von "Bullshit Qualifications" rede - solche Eigenschaften, die man als Verfasser wissenschaftlicher Texte besser nicht hat (oder auf sie verzichtet). 

Eigentlich ist das Buch nicht sehr leicht verdaulich, weil es einige Vertrautheit mit philosophischen Ansätzen voraussetzt. Es beginnt mit einem Paukenschlag und einer Provokation: "Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt". Den Rest des Buches versucht Frankfurt zu (er-)klären, was Bullshit ist. Wie man ihn vermeidet sagt er nicht - dafür sollte man dann zu mir in die Veranstaltung kommen. Ich will ja auch noch etwas zu tun haben.

Eine ethymologische Klärung der Herkunft des Wortes Bullshit zeigt die Nähe zum Gewäsch, zum Humbug, zur Phrasendrescherei usf. Großen Wert legt Frankfurt darauf, den Unterschied zur Lüge heraus zu arbeiten. Trotz seines geringen Umfangs ist das Buch eine Fundgrube an Anektoden, die verdeutlichen, wie einfach und gleichermaßen selbstverständlich es in allen gesellschaftlichen Bereichen geworden ist, zu "bullshiten" (to bullshit). Besonders erwähnt Frankfurt hierbei die Bereiche Public Relations und die Politik. 

Bleibt die Frage zu klären, warum es in dieser Welt so viel Bullshit gibt. Erstens, so Frankfurt, weil der Umfang der Kommunikation insgesamt angestiegen sei - und damit auch derjenige Anteil, der eben nicht viel mehr als hohle Phrasendrescherei ist. Zweitens aber, weil wir ein Ideal verloren haben, das Ideal der Aufrichtigkeit. Immer häufiger werden Menschen fast schon mit Gewalt dazu gedrängt, Bullshit zu produzieren - auch Wissenschaftler: "Bullshit ist immer dann unvermeidbar, wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen. Die Produktion von Bullshit wird also dann angeregt, wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema zu sprechen, das seinen Wissensstand hinsichtlich der für das Thema relevanten Tatsachen übersteigt." Nur wenige Menschen schaffen es, in diesen Sitautionen zu schweigen.

Beitrag zur  Zukunft der Menschheit: Frankfurt zeigt, dass alles Bullshit werden kann, sogar Aufrichtigkeit. Schweigen kann heilende Kräfte entfalten.

Harry G. Frankfurt: Bullshit. 2006. Frankfurt a.M. ISBN 3-518-58450-2

Sonntag, 22. März 2009

Tiefflug unter dem Radar


Maße: 230 x 150 x 30 mm; Gewicht; 450 Gramm

Schon der Philosoph Seneca warnte vor Zeiten, in denen sich die Nachfahren wundern, dass die Vorfahren "so Offenbares nicht gewusst haben". Damit unserer Generation genau das nicht passiert, gibt es Zukunftsforschung - mit vielfältigen Methoden. Was auf den Schirm des "Zukunftsradars" zu sehen ist, erklärt Pero Micic. Wie man die Signale auf dem Schirm interpretiert, bleibt dem Leser selbst überlassen.

Zukunft ist kein Ziel, wie viele leider immer noch meinen, sondern ein Prozess. Nicht alle Menschen sind mit der notwendigen Sensibilität ausgestattet, diesen permanent im Hintergrund verlaufenden Prozess zu erkennen und richtig einzuschätzen. Dies erklärt auch die hohe Anzahl von Fehlentscheidungen in Bereichen wie Wirtschaft, Politik oder Kultur. 

Willam Gibson, der (von mir öfter mal zitierte) Cyberpunk-Autor hat das, was Soziologen ein wenig umständlich "Gegenwärtige Zukünfte" nennen, sehr schön auf den Punkt gebracht: "Die Zukunft ist schon da, nur noch nicht gleichmäßig verteilt". Für die gegenwärtigen Zukünfte sind wir meist blind. Wir überbewerten den Akt des Aufbruchs, das radikal Neue, ohne zu merken, dass sich die wesentlichen Änderungen nicht in Revolutionen, sondern in homöopathischen Dosen ereignen. Die Zukunft, ist nicht immer das Neue, aber immer das Andere.

Wenn Zukunft sich aber schon in der Gegenwart "verteilt", dann liegt in unserer technologiegläubigen Welt nichts näher, als die Einrichtung flächendeckender Messstationen, die die Verteilung der Zukunft auf einem Radarschirm (so wie die Verteilung des Flugverkehrs auf Flugfläche 100) zu erfassen. Fertig ist das Zukunftsradar - ein Begriff, der vorgibt, eine Methode zu sein, obwohl es in Wirklichkeit nur um das geschickte Marketing von Gefühlen zwischen Unsicherheit und Gestaltungswille geht.

Mit seinem Zukunftsradar möchte sich der Autor deutlich von den sonst im Überfluss vorhandenen Trendreports, Prognosen oder Szenarien abgrenzen, die seiner Meinung nach nur Verwirrung stiften. Alleine wegen seiner nachvollziehbaren Kritik am Markt der Zukunftsdeutungen und den Methoden der Zukunftsdeuter, die oft genug in der Tradition der Auguren und Orakel stehen, ist das Buch lesenswert. Der Zukunftsforschung stellt er - durchaus nicht uneigennützig (er ist Vorstand der FutureManagementGroup AG) - das Konzept des Zukunftsmanagements gegenüber, die Aufgabe der Strukturierung des vorhandenen Wissens und das Freilegen von Gestaltungsoptionen, die auf dieses Wissen aufbauen. Daher richtet sich sein Buch primär auch an die Vertreter der Wirtschaft, die schon jetzt Zukunftsthemen identifizieren (müssen). Dem Autor wird dabei leider der Widerspruch seiner eigenen Argumentation nicht bewusst, dass die als offen dargestellte Zukunftsschau des Radars letztlich dann doch nur zu Planungssicherheit in Märkten reduziert wird. 

Sein Ziel ist es, einen seriösen Überblick darüber zu geben, wie die Zukunft sich gerade schon verteilt. Das Radar bei Micic funktioniert daher so: 1. Zusammenstellung - Man nehme 100 aktuelle Zukunftsbücher und Zukunftsstudien und verschaffe sich zuerst einmal einen Überblick. Welche Aussagen werden dort getroffen? Wie beurteilen die Autoren für ihr jeweiliges Themenfeld die Zukunft? 2. Struktur - Die Zukunftsthemen werden in Cluster zusammengefasst, die auch das Buch strukturieren: Biossphärische, technologische, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunftsfaktoren. 3. Die "Radarfunktion" ergibt sich letztlich daraus, dass man durch fünf verschiedene Brillen auf die Zukunftsthemen sehen kann, die für je eine spezifische Zielrichtung stehen. Diese Methode ähnelt übrigens auffallend unkreativ der Methode der sechs "Denkhüte", die im vielen Büchern zur Ideenfindung und Kreativität angepriesen wird. Diese wiederum geht auf den legendären Walt Disney (Erfinder der Mickey Mouse und von Donald Duck) zurück, der sich bei seiner Ideenfindungsmethode sogar drei verschiedene Zimmer leisten konnte, die die verschiedenen Denkrichtungen repräsentierten.

Micic versammelt in diesem Sinne eine große Vielfalt an Zukunftsfaktoren aus den o.g. Bereichen. Richtig viel Neues findet sich nicht darunter, aber das behauptet der Autor ja auch nicht. Das Buch bietet dafür etwas, wofür sich andere Autoren von Büchern über die Zukunft zu schade sind. Getreu des Mottos von Odo Marquardt, einem deutschen Philosophen, der den Sinnspruch "Zukunft braucht Herkunft" geprägt hat, versucht Micic 5.000 Jahre Philosophie und Theorie des Wandels in einem "praktischen Schnellkurs" zu vermitteln. Immerhin 30 Seiten Raum nimmt er sich für diesen epochalen Überblick! Dieser ist aber so gut strukturiert, dass man ihn ohne Bedenken empfehlen kann. Dem Leser wird klar, dass sich Wandel schon immer in Form, Richtung, Mechanismus und (gesellschaftlicher) Bewertung unterschied und heute noch unterscheidet. Dies ist dann auch der eigentlich Mehrwert des Buches. Es zeigt, dass Zukunft immer auch von den je herrschenden Vorstellungen über (sozialen, technischen etc.) Wandel anhängt. Die Vergangenheit, so zeigt es die makrohistorische Perspektive, ist nichts anderes als ein kollektiver Wertespeicher. 

Dies bedeutet nichts anderes, als dass es keine neutrale Zukunft geben kann, sondern immer nur normativ gerahmte, institutionell verankerte, nach Interessen bewertete Zukünfte. Je nach Meinung und Interesse kann eine Neuerung als Fortschritt, als Niedergang oder als Entwicklung daherkommen. Wir alle sind an diesen Einschätzungen alltäglich beteiligt, d.h. wir "produzieren" unablässig Zukunft. Vielleicht sollten wir uns dabei machmal ein wenig mehr Mühe geben.

Beitrag für die Zukunft der Menschheit: 1. Die Erkenntnis, dass wir nicht auf das Neue warten müssen, weil es auf allen Ebenen bereits Alltag ist. 2. Die Erkenntnis, dass Zukunft (von uns allen) gemacht werden kann.

Pero Micic: Das Zukunftsradar. Die wichtigsten Trends, Technologien und Themen für die Zukunft, 2006, 2. Auflage. Gabal Verlag, Offenbach.

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